Kürzlich hatte ich das Vergnügen, mit bester Begleitung eine Kunstausstellung zu besuchen. Ziel war Oh Mensch von Lars Eidinger – eine Sammlung aus Videos und Fotos, die unscheinbare, absurde Details unseres Alltags sowie schonungslos dargestellte Widersprüche aufzeigt.
Besonders eindrücklich: das Bild eines Obdachlosen, schlafend unter einem Werbeplakat eines Möbelhauses.
Wie das bei solchen Erlebnissen oft der Fall ist, ging es jedoch nicht nur um die Kunst selbst, sondern auch um den Austausch, der daraus entsteht.
Im Museums-Café, bei köstlichem Kaffee, italienischen Mandelplätzchen und einer überraschend extravaganten Tapetengestaltung, führte unser Gespräch schließlich zur besorgniserregenden Rückentwicklung der Frauenrechte – sowohl hierzulande als auch weltweit.
Frauenrechte: Ein Kampf, der noch lange nicht vorbei ist
Die Rechte, die Frauen in unserem Umfeld heute genießen, sind historisch betrachtet noch sehr jung – gerade einmal etwas über 100 Jahre alt.
Erst seit 1918 dürfen Frauen in Deutschland wählen.
Die Gleichberechtigung von Mann und Frau wurde sogar erst 1949 im Grundgesetz verankert. Bis 1958 benötigte eine Frau die Zustimmung ihres Ehemanns, um beispielsweise einen Führerschein zu machen. #whaaat #unvorstellbar
Besonders krass, Vergewaltigung in der Ehe wurde erst 1997 als Straftat anerkannt.
Doch aktuell regiert in Amerika ein alter, weißer Patriarch, der mit Frauenrechten und mit Menschenrechten im allgemein nicht besonders viel am Hut hat.
Und in vielen anderen Ländern und auf anderen Kontinenten liegt man oft noch weit hinter der Entwicklung von Frauenrechten, wie wir sie kennen. Doch auch hierzulande könnte es düster werden, vor allem durch den zunehmenden Druck von rechts, der Frauenrechte untergräbt.
Ein Blick auf die Zahlen
Ein Blick auf die kürzlich veröffentlichten Zahlen zur geschlechterspezifischen Gewalt verstärkt mein ungutes Gefühl.
Das Lagebild zeigt, dass sowohl vorurteilsgeleitete Straftaten gegen Frauen als auch Straftaten, die überwiegend zum Nachteil von Frauen begangen werden, in Deutschland zunehmen. [1]
Im Jahr 2023 gab es in Deutschland 360 Femizide. Also Tötungen von Frauen und Mädchen, allein weil sie Frauen und Mädchen sind. Misogynie vom Allerfeinsten.
Unter diesen Femiziden können 92 Opfer innerfamiliärer Gewalt und 155 der Partnerschaftsgewalt zugeordnet werden.
Damit fanden 68,8 % dieser Taten im häuslichen Umfeld statt, das heißt, Täter und Opfer standen in einer persönlichen Beziehung. [2]
Wer jetzt meint, solche Taten würden vor allem von Menschen mit Migrationshintergrund begangen, irrt. Gewalt gegen Frauen zieht sich durch alle gesellschaftlichen Schichten und Hintergründe und die überwiegende Zahl der Opfer und Tatverdächtigen ist deutscher Staatsangehörigkeit. [3]
Gewalt gegen Frauen: Ein strukturelles Problem
Gewalt gegen Frauen ist ein strukturelles Problem, weil sie tief in gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Systemen verankert ist - und das weltweit. Laut einer aktuellen Studie von UN Women wurden 2023 weltweit 85.000 Femizide verzeichnet.[4]
Auch hier, besonders erschreckend: 51.000 Frauen verloren ihr Leben durch die Hand ihres Intimpartners oder eines Verwandten.
Ich bin schockiert, weil ich überzeugt bin dass nur ein Leben ohne körperliche und strukturelle Gewalt Frauen und Mädchen es ermöglicht, gleichberechtigt und selbstbestimmt am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben.
Deshalb betrifft mich Gewalt gegen Frauen direkt!
Sie betrifft mich, weil ich eine Frau bin. Sie betrifft mich, weil ich in einer Gesellschaft leben möchte, die Gleichberechtigung für Frauen selbstverständlich macht und den Wert von Zusammenarbeit auf Augenhöhe anerkennt.
Hinschauen statt wegsehen
Seit 1991 ruft die Initiative UN Women zur Aktion "Orange the World" auf. Sie dauert 16 Tage und beginnt am 25. November (Internationaler Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen) und geht bis zum 10. Dezember (Internationaler Tag der Menschenrechte).[5]
Hier findest du mehr dazu.
Am 25.November hat mich mein Weg zu einer Mahnwache gegen Femizid in meine Geburtsstadt geführt. Im Titelbild siehst du ein Teil der 155 Stühle die für die Opfer von Partnerschaftsgewalt stehen. [6]
Und ich kann euch sagen, die Mahnwache war zutiefst beklemmend.
155 leere Stühle, auf denen die getöteten Frauen hätten sitzen können. Einige von ihnen hätten vielleicht ihre Kinder dabeigehabt. Doch viele dieser Kinder sind selbst Opfer geworden, wurden im Zusammenhang mit der Tat getötet, mussten miterleben, wie ihre Mutter ermordet wurde, oder waren in der unvorstellbaren Situation, die Rettungskräfte rufen zu müssen.
Und dann gibt es noch die Angehörigen, Freunde und das soziale Umfeld – all jene, die in den Statistiken keinen Platz finden, aber das Leid und die Tragödie ein Leben lang mit sich tragen. Am Ende bleibt die quälende Frage: Wofür?
Nach einer solchen Tat bleibt nur Leid – für alle. Deshalb muss laut darüber gesprochen werden. Wir brauchen mehr Unterstützung für die Opfer, effektive Anti-Gewalt-Trainings und härtere Strafen für die Taten, die einem Femizid oft vorausgehen und für vollendete Taten.
Femizid im häuslichen Umfeld geschieht nicht ohne Vorzeichen.
In häuslichen Umfeldern gibt es oft zahlreiche Warnsignale – seien es verbale Entgleisungen, Kontrolle, Isolation oder erste körperliche Übergriffe. Diese Anzeichen ernst zu nehmen und frühzeitig Hilfe zu suchen, kann Leben retten.
Beratungsangebote wie das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ 116 016 stehen rund um die Uhr kostenfrei und anonym zur Verfügung. Hier können Betroffene, Angehörige oder auch Freund:innen Rat suchen und konkrete Unterstützung erhalten.
Jede noch so kleine Handlung, jede ergriffene Hilfeleistung kann dazu beitragen, Femizide zu verhindern und Frauen vor Gewalt zu schützen.
Neben dem Hilfetelefon gibt es noch die App des Vereins „Gewaltfrei in die Zukunft e.V".
Dort erhalten von häuslicher Gewalt betroffenen Personen einen niedrigschwelligen Zugang zu Informationen und Unterstützungsangeboten.
Mein Fazit
Eine Gesellschaft, die Gewalt gegen Frauen nicht toleriert, ist eine Gesellschaft, in der wir alle sicherer leben können. #wirsindviele
Und somit geht Gewalt gegen Frauen uns alle etwas an.
Es ist wichtig, aktiv zu werden und offen über die Realität geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen zu sprechen – besonders dann, wenn man das Privileg hat, seine Stimme zu erheben, ohne Repressionen oder Gewalt aus dem eigenen Umfeld fürchten zu müssen. Dass ich mich in dieser privilegierten Situation befinde, ist nicht mein eigener Verdienst, sondern das Ergebnis der Errungenschaften und Kämpfe unzähliger Frauen, die vor mir dafür eingetreten sind.
Was denkst du darüber? Teile deine Gedanken und Meinungen gerne in den Kommentaren – ich freue mich auf den Austausch!
Herzliche Grüße
Dein Ernährungs- und Fastencoach
PS: Rückblickend stellte sich heraus, dass unser Museums-Café-Besuch eigentlich ein Abstecher ins Pardo’s war – eine Kunst-Bar mit moderner Kulinarik. Wenn du neugierig auf die außergewöhnlichen Tapeten bist, kannst du sie dir hier ansehen. ;-)
BKA - Bundeslagebild "Geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten 2023" https://www.bka.de/SharedDocs/Kurzmeldungen/DE/Kurzmeldungen/241119_BLBStraftatengegenFrauen2023.html (Abgerufen am 27.11.2024)
BKA - Bundeslagebild "Geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten 2023"/Abschnitt: Zahlen im Detail/Tötungsdelikte an Frauen https://www.bka.de/SharedDocs/Kurzmeldungen/DE/Kurzmeldungen/241119_BLBStraftatengegenFrauen2023.html (Abgerufen am 27.11.2024)
Die Bundesregierung: https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/lagebild-gewalt-gegen-frauen-2321162 (abgerufen am 27.11.2024)
Un Women - Publication year: 2024: Femicides in 2023: Global estimates of intimate partner/family member femicides , Page 4
https://www.unwomen.org/en/digital-library/publications/2024/11/femicides-in-2023-global-estimates-of-intimate-partner-family-member-femicides (abgerufen am 27.11.2024)
Un Woman Germany: https://unwomen.de/orange-the-world-gemeinsam-aktiv/ (abgerufen am 27.11.2024)